Samstag, 30. August 2014

 Von Uwe Kraus
Meine Kollegin Dana Toschner glaubt, „wenn Halberstadt, Quedlinburg und Wernigerode Schwestern in einem Märchen wären, dann würde unsere Stadt Halberstadt als die Unscheinbare, zurückhaltende Schwester gelten, die wegen der Schönheit und Anziehungskraft der anderen oft übersehen wird. Zum Glück haben Märchen ein gutes Ende: Der Prinz flirtet Anfangs mit beiden Schönen, aber richtig verlieben wird er sich schließlich in die unscheinbare Schwester, deren faszinierendes Wesen er erst sieht, wenn er sie näher kennen gelernt hat.“
„Wenn ich die Domtürme sehe, fühle ich mich wieder zu Hause.“ Ein Satz, der sich durch viele Gespräche zieht, wenn es um Halberstadt geht. Zugezogene sagen ihn und Halberstädter Urgesteine. Der Sakralbau mit seiner ausgeprägten Gotik bildet die eine Ecke des städtischen Wohnzimmers am Domplatz, die 1000jährige Liebfrauenkirche in ihrer vollendeten Romanik liegt ihm genau gegenüber. Umrundet der Einheimische mit seinen Gästen den Platz, wandert er durch die Historie. Die Archäologen belegten mit zahlreichen Funden, dass hier einst die Mauern der Domburg verliefen. In der Spiegelschen Kurie wohnte der Mann, der die nach ihm benannten Berge wieder bewaldete, gleich nebenan Dichtervater Johann Wilhelm Ludwig Gleim, dem heute eines der ältesten deutschen Literaturmuseen gewidmet ist. Im Dom mit seiner nur vom Vatikan übertroffenen Textiliensammlung heiratete der berühmte Architekturmaler Carl Georg Adolf Hasenpflug, in der Liebfrauenkirche erhielten berühmte Menschen ihre Taufe. Eine der vier musealen Einrichtungen, die sich auf einer Wegstrecke von 80 Metern um den Dom St. Stephanus fädeln, trägt den Namen von Ferdinand Heine. Im Heineanum entstand 1850 die größte ornithologische Privatsammlung Deutschlands. 
Die trotz Flächenabriss und Verfall 1989 noch immer vorhandene historische Bausubstanz erfuhr durch das Engagement vieler Bürger und die Kunst von Handwerkern und Architekten eine neue Blüte. Sie paart sich mit dem nach dem verheerenden Bombardement am 8. April 1945 und der viereinhalb Jahrzehnte folgenden Leere wiedererstandenen Stadtzentrum, das viele Zitate der Historie aufgenommen hat. Der Roland von 1433, der über Jahrzehnte Asyl an der Westwand der Martinikirche fand, schaut nun wieder stolz vor der Westfassade des Rathauses dem Stadtgeschehen zu.
Halberstadt, wo Karl der Große schon vor 1200 Jahren anno 804 ein Bistum gründete, entwickelte sich dank des Domsekretärs und Dichtermäzen Gleim in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einem geistigen Zentrum in Deutschland. Wenig später folgte im Zeitalter der Industrialisierung auch der wirtschaftliche Aufschwung. Landwirtschaftliche Maschinen und Flugzeuge, Eisenbahnwaggons und die Würstchen aus der Fabrik von Friedrich Heine trugen den Ruhm der Stadt in die Wirtschaftswelt. 
Halberstadt als Tor zum Harz nennen die Verwaltungsfachleute Mittelzentrum mit Teilfunktion eines Oberzentrums. Theaterliebhaber schätzen das Nordharzer Städtebundtheater mit seinem Großen Haus und der Kammerbühne wegen des anspruchsvollen Spielplanes, Musikfreunde loben die „Stunde der Musik“, und Fans scheinbar verrückter Ideen schauen mit Spannung auf das Jahrhunderte währende Orgel-Projekt in der Burchardikirche. Die Stadt schrieb und schreibt Geschichte. Namen wie Bischof Buko und der Lange Matz, der Komponist Andreas Werckmeister und der berühmte Gallenoperateur Prof. Dr. Hans Kehr, die Kaufmannsfamilie Klamroth standen dafür. Später waren  es  Menschen wie der langjährige Stadtratspräsident Johann-Peter Hinz, der entscheidenden Anteil an der friedlichen Wende 1989 hatte, oder der Unternehmer und spätere Oberbürgermeister Dr. Harald Hausmann, der sich 1999 mit dem spektakulären Guss der Domina auf dem Domplatz in die Annalen der Stadt eintrug. Doch Halberstadts Geschichtsbuch zieren nicht nur Ruhmesseiten. 800 Jahre lebten jüdische und nichtjüdische Mitbürger in der Domstadt miteinander. Die jüdische Gemeinde Halberstadts zählte zu den größten in Mitteldeutschland. Der Hofjude August des Starken, Berend Lehmann, die Metallfirma von Aron Hirsch, Warenhäuser und Bankhäuser prägten die Stadt nicht unwesentlich. 1942 wurden die letzten Halberstädter Juden in die Vernichtungslager geschickt. Ein Gedenkstein mit ihren Namen, gestaltet vom Halberstädter Künstler Daniel Priese, mahnt und erinnert daran seit 1992 ebenso wie das Mahnzeichen am Dom, das 1982 errichtet wurde. Die Moses Mendelssohn Akademie widmet sich nun mit ihrem Wirken der Geschichte von Religion und Kultur der Juden in Halberstadt. Uwe Kraus

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2 Kommentare:

  1. Vielen Dank lieber Uwe!
    Gerne mehr davon.
    Herzlich,Gerty

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    1. Zuerst sehr interessante Geschichte, aber dann das traurige braune Ende.Auf dass es nie im Geringsten wieder zu so etwas kommt!

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