Von Uwe Kraus
Meine
Kollegin Dana Toschner glaubt, „wenn Halberstadt, Quedlinburg und
Wernigerode Schwestern in einem Märchen wären, dann würde unsere Stadt
Halberstadt als die Unscheinbare, zurückhaltende Schwester gelten, die
wegen der Schönheit und Anziehungskraft der anderen oft übersehen wird.
Zum Glück haben Märchen ein gutes Ende: Der Prinz flirtet Anfangs mit
beiden Schönen, aber richtig verlieben wird er sich schließlich in die
unscheinbare Schwester, deren faszinierendes Wesen er erst sieht, wenn
er sie näher kennen gelernt hat.“
„Wenn
ich die Domtürme sehe, fühle ich mich wieder zu Hause.“ Ein Satz, der
sich durch viele Gespräche zieht, wenn es um Halberstadt geht.
Zugezogene sagen ihn und Halberstädter Urgesteine. Der Sakralbau mit
seiner ausgeprägten Gotik bildet die eine Ecke des städtischen
Wohnzimmers am Domplatz, die 1000jährige Liebfrauenkirche in ihrer
vollendeten Romanik liegt ihm genau gegenüber. Umrundet der Einheimische
mit seinen Gästen den Platz, wandert er durch die Historie. Die
Archäologen belegten mit zahlreichen Funden, dass hier einst die Mauern
der Domburg verliefen. In der Spiegelschen Kurie wohnte der Mann, der
die nach ihm benannten Berge wieder bewaldete, gleich nebenan
Dichtervater Johann Wilhelm Ludwig Gleim, dem heute eines der ältesten
deutschen Literaturmuseen gewidmet ist. Im Dom mit seiner nur vom
Vatikan übertroffenen Textiliensammlung heiratete der berühmte
Architekturmaler Carl Georg Adolf Hasenpflug, in der Liebfrauenkirche
erhielten berühmte Menschen ihre Taufe. Eine der vier musealen
Einrichtungen, die sich auf einer Wegstrecke von 80 Metern um den Dom
St. Stephanus fädeln, trägt den Namen von Ferdinand Heine. Im Heineanum
entstand 1850 die größte ornithologische Privatsammlung Deutschlands.
Die
trotz Flächenabriss und Verfall 1989 noch immer vorhandene historische
Bausubstanz erfuhr durch das Engagement vieler Bürger und die Kunst von
Handwerkern und Architekten eine neue Blüte. Sie paart sich mit dem nach
dem verheerenden Bombardement am 8. April 1945 und der viereinhalb
Jahrzehnte folgenden Leere wiedererstandenen Stadtzentrum, das viele
Zitate der Historie aufgenommen hat. Der Roland von 1433, der über
Jahrzehnte Asyl an der Westwand der Martinikirche fand, schaut nun
wieder stolz vor der Westfassade des Rathauses dem Stadtgeschehen zu.
Halberstadt,
wo Karl der Große schon vor 1200 Jahren anno 804 ein Bistum gründete,
entwickelte sich dank des Domsekretärs und Dichtermäzen Gleim in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einem geistigen Zentrum in
Deutschland. Wenig später folgte im Zeitalter der Industrialisierung
auch der wirtschaftliche Aufschwung. Landwirtschaftliche Maschinen und
Flugzeuge, Eisenbahnwaggons und die Würstchen aus der Fabrik von
Friedrich Heine trugen den Ruhm der Stadt in die Wirtschaftswelt.
Halberstadt
als Tor zum Harz nennen die Verwaltungsfachleute Mittelzentrum mit
Teilfunktion eines Oberzentrums. Theaterliebhaber schätzen das
Nordharzer Städtebundtheater mit seinem Großen Haus und der Kammerbühne
wegen des anspruchsvollen Spielplanes, Musikfreunde loben die „Stunde
der Musik“, und Fans scheinbar verrückter Ideen schauen mit Spannung auf
das Jahrhunderte währende Orgel-Projekt in der Burchardikirche. Die
Stadt schrieb und schreibt Geschichte. Namen wie Bischof Buko und der
Lange Matz, der Komponist Andreas Werckmeister und der berühmte
Gallenoperateur Prof. Dr. Hans Kehr, die Kaufmannsfamilie Klamroth
standen dafür. Später waren es Menschen wie der langjährige
Stadtratspräsident Johann-Peter Hinz, der entscheidenden Anteil an der
friedlichen Wende 1989 hatte, oder der Unternehmer und spätere
Oberbürgermeister Dr. Harald Hausmann, der sich 1999 mit dem
spektakulären Guss der Domina auf dem Domplatz in die Annalen der Stadt
eintrug. Doch Halberstadts Geschichtsbuch zieren nicht nur Ruhmesseiten.
800 Jahre lebten jüdische und nichtjüdische Mitbürger in der Domstadt
miteinander. Die jüdische Gemeinde Halberstadts zählte zu den größten in
Mitteldeutschland. Der Hofjude August des Starken, Berend Lehmann, die
Metallfirma von Aron Hirsch, Warenhäuser und Bankhäuser prägten die
Stadt nicht unwesentlich. 1942 wurden die letzten Halberstädter Juden in
die Vernichtungslager geschickt. Ein Gedenkstein mit ihren Namen,
gestaltet vom Halberstädter Künstler Daniel Priese, mahnt und erinnert
daran seit 1992 ebenso wie das Mahnzeichen am Dom, das 1982 errichtet
wurde. Die Moses Mendelssohn Akademie widmet sich nun mit ihrem Wirken
der Geschichte von Religion und Kultur der Juden in Halberstadt. Uwe
Kraus
http://person.yasni.de/uwe+kraus+39029
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Vielen Dank lieber Uwe!
AntwortenLöschenGerne mehr davon.
Herzlich,Gerty
Zuerst sehr interessante Geschichte, aber dann das traurige braune Ende.Auf dass es nie im Geringsten wieder zu so etwas kommt!
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